Der Katalog der Ausstellung von Irma Sharikadze
Irma Sharikadze und ihr Projekt „Die Briefe“.
Das eigenständige Projekt „Die Briefe“ wird in Moskau als national und weiblich empfunden. Die georgische Künstlerin Irma Sharikadze untersucht die Gestalt der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo als Identitätsmetapher – künstlerisch, weiblich und national. Das erste Bild von Frida war die Selbstdarstellung. Sie zeichnete sich selbst, weil sie „das Thema war, das sie am besten kannte“, - so sagte sie selbst. Für uns ist ihre Selbstdarstellung mit der Zwillingschwester von Bedeutung. Darauf sehen wir zwei schöne junge Frauen, die eher festlich als alltäglich gekleidet sind, mit den nackten Herzen. Ihre Herzen sind mit dem gemeinsamen Blutstrom verbunden.
Das Projekt „Die Briefe“ der georgischen Künstlerin erinnert uns an den gemeinsamen Kulturblutkreislauf, an die Fähigkeit der Kunst, geografische Grenzen zu überwinden und nicht nur Menschen hinzureißen, sondern die Zeit selbst. Die von Frida erfundene Zwillingschwester - jetzt bereits als Figur von Irma Sharikadze – erfindet Frida. In „Den Briefen“ sind die beiden – Frida und Mariza – alter ego der georgischen Künstlerin, ihr eigenes Spiel mit der Gestalt des Künstlers, den Figurstrategien, der Geschichte und den Sprachen der Kunst.
Die Figur versucht den Künstler mit der Möglichkeit, noch ein Leben zu leben, die Zwillingschwester verkörpert diese Möglichkeit. Mariza wurde von Frida geboren, Frida zeigt sich in den Briefen an Mariza – die Schwestern werden für einander zu den symbolischen Müttern. (“Wir machen lieber so: du wirst Mutter für mich, und ich werde Mutter für dich, natürlich, wenn du nichts dagegen hast...”) In der zarten Metapher schimmert kniffige Dialektik der Gestalt und des Referenten, des Künstlers und der Figur. Das ist die Dialektik des Werdens, die Frida Kahlo nah war und wahrscheinlich das Wesen ihrer Malerei selbst darstellte. Im Sujet der erfundenen Biografien der Schwestern baut Irma Sharikadze das eigene künstlerische Werden ein.
Außerdem sind die Zwillingschwestern eine Schönheitsverdoppelung. In der Vitalität und konzentrierten Schönheit der Gestalten der georgischen Künstlerin erahnen sich die Linien des Kraftfeldes von Sergei Parajanov. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers, die die einwandfreie Gestalt verfolgt, hält sich auf dem Manuskripttext unter dem Bild auf. Die aufgehaltene Aufmerksamkeit liest das Projekt nicht durch Schablonen der Zeitschriften-Glanz, auf die jedes attraktive Bild verwiesen wird, sondern durch konzeptionelle Schlüssel, mit denen, übrigens, Irma ungefähr gleiche Beziehungen wie Frida hat – mit der surrealistischen Malerei. (“Man hat mich für Surrealistin gehalten. Das stimmt nicht. Ich habe nie Träume gezeichnet. Ich stellte nur meine Wirklichkeit dar.”)
Wenn man gleichzeitig die Schwester und die Mutter ist, bedeutet das, dass man den gemeinsamen Vater hat, der zum Ehemann wird. In ihrem Traum sieht Frida die Mutter im Batistkleid, unter dem zarten Gewebe sieht man behaarte männliche Brust. Durch diesen ziemlich grausamen Traum spricht die schöpferische Anstrengung, in der die Individualität vom Gattungstabu befreit wird. Die emansipatorische Anstrengung von Irma Sharikadze selbst zeigt sich im Widerstand der Figur gegenüber den Lebensumständen, die die Männlichkeit fordern. Das Projekt ist durch Widerspiegelungen elektrisiert – anfangend sogar nicht mit den Spiegeln sondern mit der Phonetik: Frida, Irma, Georgien, Revolution, Mariza. Es reimt sich das Postkoloniale – die georgische Künstlerin auf der Moskauer Art-Bühne wie die mexikanische – auf der Bühne von New-York. Frida war 23, als sie in New-York kam. Und noch eine Tatsache: Frida trug den Schmuck der Zeit vor Columbus des alten Meso-Amerika. Im Projekt sehen wir die unglaublichen Schmuckstücke, die an die archaische Kunst erinnern. Den Spiegel der Installation betrachtend erinnern wir uns an Frida, ans Krankenbett gefesselt, die zum ersten Mal den Pinsel in die Hand genommen hat, um das erste Bild zu zeichnen – sich selbst.
Alexander Evangely